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Frau Schnecke sucht ein neues Haus

Eine Geschichte von Andrea Schütze mit Illustrationen von Joëlle Tourlonias, erschienen im Ravensburger Verlag.

Als es Frühjahr wurde, schaute Frau Schnecke an sich hinauf und dachte, dass es höchste Zeit für ein neues Haus sei.

Das alte Ding auf ihrem Rücken war ausgeleiert und die Farbe völlig verwaschen.

Sie sagte zu ihrem Mann: „Schatz, warte nicht mit dem Abendessen auf mich. Ich gehe mir ein neues Haus kaufen.“

Dann machte sie sich auf den Weg.

Nach 68 Tagen erreichte sie die Stadt.

Am 69. Tag stand sie vor dem Schneckenhaus-Fachgeschäft und betrachtete staunend das Schaufenster.

„Oh, welch riesige Auswahl“, sagte Frau Schnecke voller Vorfreude und begann, die Stufen hinaufzukriechen.

Am 70. Tag betrat Frau Schnecke den Laden.

„Guten Tag, Sie wünschen?“, begrüßte die Verkäuferin sie.

„Ich hätte gerne ein neues Haus“, antwortete Frau Schnecke. „Es sollte zu meinen Haaren passen und ein wenig pfiffig sein.“

„Dann sind Sie hier genau richtig“, meinte die Verkäuferin und nahm ein Hochhaus vom Bügel.

„Huch, ist das aber hoch!“, meinte Frau Schnecke erschrocken. „Damit bleibe ich ja überall hängen. Und das ganze Grau … Ich glaube, mir gefallen farbenfrohere Häuser besser.“

„Aber gerne“, sagte die Verkäuferin und nahm ein kleineres Haus heraus. Es hatte eine Rutsche, gestreifte Fensterläden und war kunterbunt angemalt. „Wie wäre es mit einem Kindergarten?“, fragte sie.

Frau Schnecke schlüpfte hinein und betrachtete sich von allen Seiten.

„Hach“, sagte sie, „was für ein hübsches Muster. Aber vielleicht doch ein wenig zu schrill. Haben Sie auch ein unauffälligeres Modell?“

„Selbstverständlich“, antwortete die Verkäuferin und nahm vorsichtig ein gläsernes Gewächshaus vom Ständer.

„Selbstverständlich“, antwortete die Verkäuferin und nahm vorsichtig ein gläsernes Gewächshaus vom Ständer.

„Ups“, sagte Frau Schnecke und zog verschämt den Vorhang der Umkleidekabine vor das Glashaus, „ist das zu gewagt? Man sieht ja meine Unterhose! Nein, ich glaube, ich probiere mal etwas Vernünftigeres an.“

Die Verkäuferin nahm eine Kirche vom Bügel.

„Oh“, hauchte Frau Schnecke und drehte sich bewundernd vor dem Spiegel.

„Diese Kirche steht Ihnen wirklich fantastisch“, säuselte die Verkäuferin.

Doch plötzlich begannen die Kirchturmglocken zu läuten und Frau Schnecke bekam einen mächtigen Schreck.

„Um Himmels willen“, rief sie, „das ist zu laut. Wissen Sie was, ich brauche sowieso was Bequemeres.“

„Damit kann ich dienen.“ Die Verkäuferin half Frau Schnecke, sich einen braunen Kasten überzuziehen.

Frau Schnecke nickte angetan. Doch mit einem Mal begann sie fürchterlich zu schwitzen. „Sagen Sie mal, Fräulein, hält dieses Haus immer so warm?“, fragte sie und fächerte sich Luft zu.

„Natürlich“, sagte die Verkäuferin, „das ist eine Sauna.“

Frau Schnecke tropfte der Schweiß von der Stirn und sie japste: „Aber doch nicht jetzt im Sommer! Haben Sie auch was Kühleres?“

„Sicher“, sagte die Verkäuferin eifrig. „Die meisten Kundinnen kaufen die Sauna zusammen mit diesem Haus hier.“

Sie nestelte den Kleiderbügel aus einer weißen, glitzernden Halbkugel und half Frau Schnecke beim Anziehen.

„Ah, das tut gut“, seufzte Frau Schnecke erleichtert.

„Das ist ein Iglu“, erklärte die Verkäuferin.

„Ab-ab-aber“, meinte Frau Schnecke nach einer Weile schlotternd, „ich fi-fi-finde, mi-mi-mir steht die Fo-fo-form nicht so gut.“

Die Verkäuferin reichte Frau Schnecke ein Haus mit Holzverzierungen.

„Wie fänden Sie das? Das ist ein Fachwerkhaus“, erklärte die Verkäuferin.

„Dieses Muster macht schlank, Sie sollten es unbedingt anprobieren!“, drängte sie.

„Kommt nicht infrage“, meinte Frau Schnecke entschlossen, „dazu passt keine von meinen Blusen.“

Als Nächstes kam die Verkäuferin mit einem Campingzelt.

Frau Schnecke kämpfte mit den Zeltstangen und der flatternden Plane.

„Also ich weiß nicht“, meinte sie zögernd. „Ich brauche morgens bestimmt Ewigkeiten zum Anziehen. Haben Sie möglicherweise etwas weniger Kompliziertes?“

Geduldig hängte die Verkäuferin das Zelt neben das Hochhaus, den Kindergarten, das Gewächshaus, die Kirche, die Sauna, das Iglu und das Fachwerkhaus. Dann zog sie eine Pyramide vom Kleiderbügel.

„Wunderschön!“, rief Frau Schnecke entzückt. „Oben spitz und unten breit, das schmeichelt meiner Figur. Und die Farbe erst … Sie lässt meine Augen leuchten, finden Sie nicht auch?“

„Absolut“, bestätigte die Verkäuferin und wischte ein wenig an der Pyramide herum.

„Uuh“, rief Frau Schnecke da und rieb sich die Tränen von der Wange, „da gerät mir ja bei jeder Bewegung Sand in die Augen. Dann kann ich dieses Haus wohl auch nicht nehmen.“

Ratlos schaute die Verkäuferin im Geschäft umher. Dann trat sie an den Ladentisch und kramte etwas darunter hervor.

„Ich kann Ihnen nur noch ein Modell vom letzten Jahr anbieten. Es ist ein Bungalow“, sagte sie.

„Nein“, schüttelte Frau Schnecke den Kopf, „ich kann Häuser mit Flachdach nicht ausstehen. Damit wirke ich immer so klein und platt.“

„Tja“, murmelte die Verkäuferin. Dabei fiel ihr Blick auf ein großes Paket, das neben der Kasse stand.

„Ich hab’s!“, rief sie erleichtert. „Gestern kam eine neue Lieferung. Sie werden begeistert sein.“

Eilig öffnete die Verkäuferin den Karton und räumte einen Berg Knüllpapier heraus. Frau Schnecke klatschte erfreut in die Hände.

„Ein Ferienhaus!“, rief sie begeistert.

„Sie werden sich fühlen wie im Urlaub“, flötete die Verkäuferin. „Und sehen Sie nur, wie das Wasser im Pool schimmert!“

Doch nach einer Weile meinte Frau Schnecke: „In Strandhäusern sind die Betten immer so durchgelegen und ganz zu Hause fühlt man sich auch nie. Ach, ich kann mich heute einfach nicht entscheiden.“ Die Verkäuferin seufzte.

Als Frau Schnecke wieder in ihr eigenes Haus schlüpfte, kam es ihr mit einem Mal gar nicht mehr abgewetzt oder schlabbrig vor. Im Gegenteil! Frau Schnecke fühlte sich pudelwohl darin. Es saß genau richtig, zwickte nirgends und war so bequem, dass Frau Schnecke ein schlechtes Gewissen bekam, weil sie es hatte loswerden wollen. „Vielen Dank, auf Wiedersehen“, sagte sie und verließ gut gelaunt das Schneckenhausgeschäft.

Den ganzen langen Heimweg freute sie sich über ihr perfektes Schneckenhaus. Und als ihr Mann die Tür öffnete, gab er Frau Schnecke einen Kuss und sagte: „Zum Glück hast du dir kein neues Haus gekauft. Ich mag dich genau so, wie du bist, sowieso am allerliebsten.“

Ende der Geschichte! Hab einen spannenden Tag!

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