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Du, Mama ... Wie weit ist die Welt?

Vorlesen verbindet ... für die großen Fragen im Leben: eine Geschichte von Sabine Bohlmann mit Illustrationen von Emilia Dziubak, erschienen im Verlag arsEdition

„Du, Mama? Ist die Welt weit?“, fragte der kleine Kater.

„Schon ein bisschen“, antwortete die Katzenmama.

„Und wie weit?“

„Vom Sofa über den Teppich zum großen Sessel, am Kratzbaum vorbei bis zum Fenster!“

„Aber die Welt geht doch noch weiter! Wie weit ist denn die weite Welt?“, fragte der kleine Kater, der mit der Antwort seiner Mama noch nicht zufrieden war.

Die Katzenmutter lächelte. „Die weite Welt geht durch das Blumenbeet, über die Wiese, am Goldfischteich vorbei bis zum Zaun.“

„Aber die weite, weite Welt, die geht doch noch weiter. Viel weiter!“

„Ach so, du meinst die große weite Welt?“, fragte die Katzenmama.

Der kleine Kater nickte und sah aus dem Fenster in die Weite der Welt.

„Oh ja, diese Welt ist sehr weit“, antwortete die Katzenmama.

„Wie weit?“, fragte er und hüpfte aufgeregt auf und ab.

„Weiter, als du denken kannst“, meinte seine Mama und schleckte dem Kleinen liebevoll über den Kopf.

Der kleine Kater strengte sich mächtig an. Er dachte und dachte und versuchte, weiter zu denken, als er konnte. Doch er schaffte es nicht.

„Ist die Welt so weit, wie ich hüpfen kann?“, fragte der kleine Kater und machte sogleich einen Sprung.

„Viel, viel weiter“, sagte die Katzenmama.

Noch einmal nahm der Kleine Anlauf und sprang, so weit er konnte.

„So weit?“

„Schau doch mal“, sagte Mama. „Vor deinem Sprung und hinter deinem Sprung ist noch ganz viel weite Welt.“

„Ja, das ist wahr“, gab der kleine Kater zu und sah vor sich und hinter sich.

„Du, Mama, und wie groß ist die Welt?“

„Sehr, sehr groß.“

„Größer als Papa?“

„Viel größer als Papa.“

„Größer als Bello?“

„Viel, viel größer.“

„Und wenn die große Dogge und der schwarze Rabe und der Pudel und die Streifenkatze und die Meerschweinchen und alle Hamster aufeinanderstehen, ist die Welt dann so groß?“

„Selbst wenn du alle Tiere aus der ganzen Stadt aufeinanderstellen würdest, würde das noch nicht reichen, kleiner Kater.“

„Die Welt scheint wirklich groß zu sein und weit obendrein.“ Der kleine Kater seufzte. Es war sehr anstrengend, sich etwas so Weites und Großes vorzustellen.

„Ja, das ist sie“, sagte die Katzenmama und sah mit dem kleinen Kater eine Weile in die Weite der Welt.

Der kleine Kater holte tief Luft und begann erneut.

„Wenn sich alle Tiere die Pfoten geben würden, wie viele Tiere bräuchte man für die Weite und die Größe der Welt?“, fragte er schließlich.

Mama Katze dachte nach, aber der kleine Kater fragte bereits weiter, bevor ihr eine Antwort einfiel.

„Und ist die Welt nur nach vorne und hinten so weit?“

„Nein, auch nach rechts und links und nach oben und unten.“

„Und wo ist die Welt?“, fragte der kleine Kater weiter.

„Na, hier!“

„Nein, ich meine, ich stehe hier und du, Mama, stehst neben mir, aber wo steht die Welt?“

„Die Welt steht zwischen der Sonne, dem Mond und den Planeten. Sie steht aber eigentlich nicht. Sie fliegt auf der Stelle. Sie dreht sich!“, erklärte die Katzenmutter.

„So wie ich?“, fragte der kleine Kater, und sogleich drehte er sich auf der Stelle, bis ihm schwindelig wurde.

„Ja, so ähnlich“, lächelte seine Mama.

Dann blieb der kleine Kater plötzlich stehen. Er schloss die Augen.

„Was machst du denn jetzt, kleiner Kater?“, fragte die Katzenmama.

„Ich möchte spüren, wie die Welt sich dreht.“

„Dazu ist sie zu langsam, das kann man nicht spüren. Dazu musst du zur Sonne schauen. Du kannst ihr zusehen, wie sie verschwindet, und daran siehst du, wie die Welt sich dreht. Denn die Sonne bleibt immer am selben Fleck.“

Der kleine Kater und die Katzenmutter sahen der Sonne zu, wie sie hinter der Welt verschwand.

„Und hier dreht sich die Welt?“, flüsterte der kleine Kater ergriffen. „Mittendrin?“

„Mittendrin. In allem, was um uns ist“, sagte seine Mama.

„Und was genau ist das?“

„Der Lebensraum der Welt. Dazu gehören alle Planeten, alle Sterne, der ganze weite Himmel.“

„Ich möchte auch ein Stern sein“, sagte der kleine Kater und legte seinen Kopf in den Nacken, um die Sterne noch besser sehen zu können.

„Oh, das bist du, das sind wir alle. Siehst du da oben, am Himmel, die Sterne da hinten? Das ist der Löwe! Der Löwe ist eine Katze, wie wir.“

„Ich finde es schön, dass wir Sterne sind“, sagte der kleine Kater leise.

„Und kann ich dahin?“

„Wohin?“

„Zu den Löwensternen am Himmel?“

„Das ist zu weit!“

„Aber wenn ich so hoch springe wie ein Floh?“

„Nicht hoch genug!“

„Ein Grashüpfer?“

„Immer noch nicht hoch genug!“

„Ein Känguru?“

Die Katzenmama schüttelte erneut den Kopf.

„Der Frosch?“

Wieder schüttelte sie den Kopf.

„Es gibt auf der ganzen Welt niemanden, der so hoch springen kann!“

„Aber woher weißt du das, Mama? Du bist doch noch nicht auf der ganzen Welt gewesen.“

Kurz musste die Katzenmama überlegen.

„Denn dann würden da oben schon längst viele Tiere sitzen und uns zuwinken, meinst du nicht?“

„Hm“, sagte der kleine Kater nachdenklich. „Da könntest du recht haben.“

„Wie viele Schritte müsste ich gehen, wenn ich um die Welt sausen möchte?“

„So viele wie die Streifen von Herkules, so viele wie Grisus Punkte, so viele wie Kittys Flecken, so viele, wie Papa Barthaare hat, so viele wie Karls Federn, so viele wie …“ Weiter kam die Katzenmama nicht, denn ihr kleiner Sohn gähnte.

„Puh!“, machte der kleine Kater, „ich glaube langsam, die Welt ist viel zu weit und zu groß für mich.“

„Ist denn der Himmel auch so weit?“

„Oh ja, der ist noch viel weiter als die Welt!“

„Weiter als die Welt?“

Die Katzenmama nickte. Der kleine Kater legte seinen Kopf in den Nacken und starrte noch einmal in die Weite des Himmels.

„Du, Mama?“

„Hm?“, machte die Katzenmama nur und gähnte nun ebenfalls.

„Wie tief ist denn die Welt?“

Die Katzenmama sah ihren Sohn lange an. Sie verstand nicht genau, was er meinte.

„Also“, begann der kleine Kater, „wenn der Vogel Strauß seinen Kopf in den Sand steckt, kann er dann auf der anderen Seite der Welt wieder rausschauen und Luft schnappen?“

Jetzt lachte die Katzenmama, aber nur ein bisschen, denn sie wusste, dass man über Fragen seiner Kinder nicht viel lachen durfte.

„Nein, da muss man schon tiefer graben“, sagte sie dann.

„So tief wie die Wühlmäuse?“

„Tiefer.“

„So tief wie die Ameisen?“

„Noch viel, viel tiefer!“

Der kleine Kater seufzte. „Welches Tier kann sich denn nun durch die Welt buddeln?“

„Jedenfalls keines, das ich kenne. Die Welt ist nämlich ganz schön dick“, sagte die Mama.

Der kleine Kater bückte sich und versuchte, durch ein Loch, das die Wühlmaus gebuddelt hatte, durch die ganze Welt zu sehen. Aber er schaffte es nicht.

„Du, Mama?“

„Ja, kleiner, neugieriger Kater? Willst du denn nicht endlich schlafen?“

„Und wem gehört die Welt?“

Mama gähnte erneut, seufzte noch einmal und dann überlegte sie, was sie am besten antworten konnte.

„Dir und mir und allen und niemandem!“

Der kleine Kater legte den Kopf schief. Auf seiner Stirn bildeten sich zwei dicke Falten.

„Jeder von uns trägt einen Teil der Welt in sich“, erklärte sie schließlich weiter.

Der kleine Kater sah an sich herab. Dann zeigte er auf seinen Schwanz.

„Ist mein Teil der Welt in mir da drin?“

Jetzt musste die Mama doch ein bisschen lauter lachen.

„Die Welt steckt überall in dir. Von deiner Nase bis in die Schwanzspitze. Aber am meisten Welt steckt in deinem Herzen.“

Jetzt machte der kleine Kater große Augen.

„Die Welt ist wirklich ganz schön weit. Und groß und tief und irgendwie überall. Stimmts, Mama?“

„Warum willst du das eigentlich wissen, kleiner Kater?“

„Es könnte doch mal sein, dass ich die Welt umarmen möchte. Dann muss ich doch wissen, wie weit ich meine Arme öffnen muss.“

Dann machte der kleine Kater ein paar Schritte.

„Ich möchte um die Welt laufen“, sagte er. „Wie lange werde ich brauchen, Mama?“

„Das dauert lange. Sehr lange. Du bräuchtest so lange für die Weite der Welt, dass du erst wieder hier ankommen würdest, wenn du ein großer Kater bist.“

„Und dann?“

„Dann wäre ich sehr traurig, weil ich dich so sehr vermissen würde.“

„Wie sehr?“

„So sehr, wie die Welt weit und groß und tief ist.“

„Oh, das ist wirklich viel“, sagte der kleine Kater.

„Und ist die Liebe auch so weit?“

„Die Liebe, die ist ganz nah und gleichzeitig so weit, weiter als du denken kannst.“

Wieder schloss der kleine Kater seine Augen und versuchte, so weit zu denken, bis er nicht mehr konnte, und sogar darüber hinaus. „Das ist weit. Das ist wirklich sehr, sehr weit!“, sagte der kleine Kater dann. Und weil das weite Denken so anstrengend gewesen war, gähnte er zweimal kräftig, kuschelte sich ganz dicht an seine Mama und schlief ein. Und da spürte er, dass man für die Liebe gar nicht so weit denken musste. Sie war ganz nah.

Ende der Geschichte! Schlaf schön!

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