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Die Mutprobe

Eine Geschichte von Anne Ameling mit Illustrationen von Elias Linnekuhl, erschienen bei ellermann im Dressler Verlag.

Den ganzen Tag ärgert Vincent Bela schon. Nur weil er sich gestern beim Ausflug nicht auf das hohe Klettergerüst im Zoo getraut hat.

„Du bist echt ein Angsthase“, sagt er und singt: „Angsthase, Pfeffernase!“

Die anderen Kinder lachen. Nur Melli nicht.

„Lass Bela doch in Ruhe!“, ruft sie.

Bela will einfach nur nach Hause. Er klettert eben nicht gerne. Er hat Angst vor der Höhe. Vincent hat vor nichts Angst. Manchmal wünscht Bela sich, er wäre so furchtlos wie Vincent. Wenn der etwas sagt, hören ihm außerdem alle zu.

So wie jetzt.

„Bela kann ja mal zeigen, dass er kein Angsthase ist“, sagt er. „Ich hab eine Idee: Eine kleine Mutprobe.“

Oh nein! Das kann nichts Gutes werden.

„Mach ich“, sagt Bela trotzdem.

Vielleicht hat er danach ja endlich seine Ruhe.

„Du kletterst auf den Baum hinter dem Zaun und springst von dem Ast da runter“, sagt Vincent.

Alle Kinder werden ganz still. Es ist streng verboten, auf diesen Baum zu klettern. Er steht außerhalb des Kindergartengeländes. Und der Ast, den Vincent meint, ist ganz schön hoch.

Melli protestiert: „Die Mutprobe ist total gemein!“

Vincent zuckt mit den Schultern. Von den anderen Kindern sagt keines was. Alle sind gespannt, was Bela nun macht.

Bela geht zum Zaun. Er klettert daran hoch, bleibt oben stehen, stützt sich mit einer Hand am Baumstamm ab und dreht sich auf wackligen Füßen um. Die Kinder warten atemlos darauf, dass er weiterklettert. Melli hält sich die Augen zu.

Aber Bela sagt laut und deutlich: „Nein.“

Melli nimmt die Hände von den Augen.

„Ich hasse Klettern“, ruft Bela. „Ich bin nicht gerne irgendwo oben. Davor habe ich Angst. Aber deshalb bin ich kein Angsthase. Ich mach nicht, was Vincent sagt. Ich will nicht auf den Baum klettern und runterspringen. Das kann er ja selber machen, wenn er so mutig ist. Und wer meint, ich bin deshalb ein Angsthase, kann mir gestohlen bleiben.“

Bela denkt, dass ihn jetzt bestimmt alle noch mehr auslachen. Da ruft Melli begeistert: „Das ist ja wohl viel mutiger, als auf den Baum zu klettern.“ Sie überlegt und fügt hinzu: „Ich habe übrigens Angst vor tiefem Wasser.“

„Ich hab Angst vor Spinnen“, ruft Rut.

„Und ich vor Hunden. Aber nur vor großen“, sagt Linus.

„Ich vor der Dunkelheit“, gibt Merle zu.

„Vor den Monstern unterm Bett“, sagt Nils.

Allen fällt etwas ein, was ihnen Angst macht.

Nur Vincent sagt nichts.

Bela klettert vom Zaun und fragt ihn: „Hast du vor gar nichts Angst?“

Vincent holt tief Luft. Dann flüstert er Bela etwas ins Ohr.

„Aber verrat es keinem“, sagt er.

Bela schüttelt den Kopf. „Versprochen. Aber hör du auf, mich Angsthase zu nennen.“

Vincent grinst schief. „Na gut. Ich kann ja mal mit dir klettern üben, wenn du willst“, schlägt er vor.

„Mal sehen“, sagt Bela. „Für heute habe ich genug vom Klettern.“

Da kommt auch schon Frau Buhl und scheucht die Kinder vom Zaun weg.

Streng sieht sie von einem zum anderen.

„Ihr macht doch keinen Unfug, oder?“, fragt sie.

Melli legt den Arm um Bela. „Nö, wir gucken, ob es schon Kastanien gibt.“

„Gibt noch keine“, sagt Bela und zwinkert Vincent zu.

„Nö“, bestätigt der.

Dann gehen sie Fußball spielen. Bela ist übrigens ein guter Torwart, stellt Vincent fest. Weil er gar keine Angst vor dem Ball hat!

Ende der Geschichte! Hab einen spannenden Tag!

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