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Der Sonnenhut des Gondoliere

„Ciao, Kati", sagt Oma und rückt ihre große Sonnenbrille auf der Nase zurecht.

„Ciao, Nonna", antwortet Kati. Ciao ist Italienisch und bedeutet hallo.

Oma bindet ihr grün gepunktetes Kopftuch fest und gibt Kati links und rechts und links einen Kuss. Dann gibt Oma Gas.

Omas roter Flitzer ist einfach herrlich. Besonders wenn die Sonne scheint. Dann kann man ohne Dach fahren.

An jeder Ampel, an der Oma und Kati halten, schauen die Leute neugierig herüber. Oma und Kati winken.

„Du musst unbedingt deinen Sonnenhut aufsetzen", sagt Oma. „Sonst bekommst du einen Sonnenstich.“

Kati kramt missmutig im Rucksack. Dann setzt sie ihren Hut mit den Marienkäfern auf. Was für ein blöder Hut. Wie ein Baby sieht Kati damit aus.

Unten am Hafen lässt Oma das Auto stehen.

„So ein sonniger Tag", schwärmt sie. „Man könnte meinen, wir sind in Venedig.“

Venedig, das weiß Kati, ist Omas Heimatstadt in Italien. Da ist Oma geboren, und sie ist dort aufgewachsen.

Kati hat Bilder von Venedig gesehen. Wie im Märchen sieht es dort aus.

Die Stadt mit ihren herrlichen Palästen ist auf hundert kleinen Inseln direkt ins Meer gebaut. Zwischen den Häusern gibt es oft keine Straßen, sondern nur Wasserkanäle. Wenn man in Venedig einkaufen oder in die Kita fahren will, muss man ein Boot benutzen.

„Im Herbst, wenn es in Italien nicht mehr so heiß ist“, verspricht Oma, „fahren wir beide nach Venedig.“

Kati setzt sich auf die Bank neben dem Fahrkartenautomat. Während Oma Tickets für das Schiff nach Blankenese kauft, sucht Kati auf Omas MP3-Player ihr italienisches Lieblingslied.

Heimlich packt Kati ihren Sonnenhut wieder zurück in den Rucksack. Der Hut bringt nichts als schlechte Laune. Und die kann Kati an einem so schönen Tag überhaupt nicht gebrauchen.

An Deck des Elbschiffs stecken sich Oma und Kati jede einen Kopfhörerstöpsel ins Ohr und singen laut mit.

Das Lied heißt Azzurro und handelt vom blauen Himmel über Italien. Kati liebt italienische Schlager, genau wie Oma.

Verträumt schließt sie die Augen: Sonne, Meer, Musik – Italien muss herrlich sein.

Plötzlich zieht Oma Kati den Stöpsel aus dem Ohr. „Kati … der Hut! Du musst ihn aufsetzen. Es ist wichtig, wegen der Sonne."

„Aber der Hut ist blöd“, jammert Kati.

„Quatsch. Sogar die Gondolieri in Venedig tragen Sonnenhüte“, erklärt Oma.

„Die Gondolieri?“ Kati zieht den Hut aus dem Rucksack.

„Das sind die Taxifahrer in Venedig. Sie fahren elegante schwarze Boote, die Gondeln heißen, und sie rudern im Stehen. Gondolieri tragen schicke Hosen und Sonnenhüte aus Stroh mit bunten Bändern dran."

Oma zieht Katis Hut auf dem Kopf fest.

„Ich möchte auch einen Sonnenhut aus Stroh“, sagt Kati.

„Nur noch eine Station, dann sind wir da. In Ginas Restaurant kannst du den Hut abnehmen."

Oma schaut in ihren kleinen Spiegel und schminkt ihre Lippen nach. In Ginas Restaurant will sie hübsch aussehen.

Kati kann das Restaurant vom Kai aus sehen. Es ist die weiße Villa mit den rot-weißen Markisen, die in der Sonne strahlen.

Ginas Restaurant ist sehr fein. Auf allen Tischen liegen weiße Tischtücher, es gibt silberne Brotkörbchen und hohe, verzierte Flaschen für Essig und Öl.

Die Kellner sehen richtig streng aus in ihren dunklen Anzügen. Sie zeigen Oma einen schattigen Tisch auf der Terrasse. Kati greift nach Omas Hand. Das ist ihr etwas unheimlich, dass alle Italienisch reden.

„Ich nehme Pizza und Eiscreme.“ Kati zieht sich den Hut vom Kopf.

„Schauen wir erst mal in die Karte", schlägt Oma vor. „Ich fürchte, Pizza gibt es hier nicht.“

„Aber es ist ein italienisches Restaurant", sagt Kati. „Da muss es Pizza geben.“

„Pizza isst man in Italien im Gasthaus, Osteria heißen die in Italien. In Restaurants bekommt man selten Pizza. Wie wäre es mit Nudeln?"

Kati ist einverstanden.

„Welche Nudeln möchtest du?", will der Kellner wissen. „Fettuccine, Fedelini, Mafaldine, Tortellini, Spaghettini?“

„Was?“ Kati ist ganz verwirrt. „Ich will einfach Spaghetti!“

„Einmal Spaghettini und einmal Fettuccine con Cozze", sagt Oma.

„Ihhh, Kotze!“, ruft Kati.

Oma lacht. „Cozze ist Italienisch und bedeutet Muscheln. Ich liebe Pasta mit frischen Muscheln."

Kati rümpft die Nase.

Oma nimmt ein Stück Papier aus ihrer Handtasche und zeichnet für Kati die verschiedenen Nudelsorten auf: lange dünne, kurze dicke, mit einem Loch in der Mitte, kleine Rädchen und Täschchen und Schleifchen.

Alle haben lustige Namen. Katis Hunger wird immer größer. Endlich kommt der Kellner.

„Keine Tomatensoße?“, fragt Kati, als er den Teller vor sie hinstellt.

„Wie dumm. Ich hab nicht dran gedacht, sie extra zu bestellen. Dann kommen die Nudeln natürlich nur mit Butter und Parmesan", sagt Oma.

Der Kellner lächelt. „Kein Problem. Ich bringe dir gleich Bolognese.“

Die Spaghetti schmecken himmlisch, findet Kati. Als der Kellner die Tomatensoße bringt, hat sie schon fast alle Nudeln aufgegessen.

Nach dem Essen kommt Gina an den Tisch. Sie ist Omas Freundin und freut sich, dass Oma und Kati da sind.

Gina zeigt Kati die kleine Wiese unterhalb der Terrasse. Dort kann sie mit Bruno Fußball spielen. Bruno ist so alt wie Kati, und sein Papa ist Kellner im Restaurant.

Erst macht Bruno ein saures Gesicht, weil er denkt, dass Kati nicht Fußball spielen kann. Aber als Kati losdribbelt, merkt er, dass er sich geirrt hat.

Kati zieht an Bruno vorbei und schießt. Oje! Der Ball fliegt in hohem Bogen auf die Terrasse, und es klirrt und klimpert.

„Oje!", sagt Kati. „Ich habe wohl mitten in einen Spaghettiteller getroffen.“

Oben taucht Brunos Papa auf. Kati zieht ängstlich die Schultern hoch. Aber Brunos Papa schimpft gar nicht.

„Nicht so wild, Kinder!“, sagt er und wirft den Ball zurück, damit Bruno und Kati weiterspielen können.

„Tor! Tor! Tor!", brüllen Kati und Bruno, immer wenn einer von beiden zwischen die beiden Blumentöpfe trifft. „In Italien dürfen Kinder überall laut sein und spielen“, erklärt Bruno. „Und sie müssen abends nicht so früh ins Bett. Willst du ein Eis?“

Bruno zeigt Kati die Küche. Die ist riesengroß und voll mit Regalen, Töpfen und Pfannen. Brunos Vater öffnet die Tiefkühltruhe.

„Welche Sorten willst du?“, fragt Bruno.

„Eine Kugel Vanille und eine Kugel Erdbeereis, bitte“, sagt Kati.

Bruno lacht. „Das ist echtes italienisches Eis. Daraus kann man keine Kugeln machen. Dazu ist es viel zu cremig."

Brunos Vater nimmt das Eis mit einem Spachtel aus dem Bottich und gibt es für Kati in eine kleine Schale.

„Ich nehme Zitrone und Schokolade“, sagt Bruno. „Aber wie in Sizilien, bitte!“

Brunos Vater schneidet ein Milchbrötchen auf und gibt das Eis für Bruno in das Brötchen hinein.

Brioche con gelato, das ist eine sizilianische Spezialität", erklärt er.

Kati schüttelt den Kopf. „Eis im Brötchen – und das schmeckt?“ Bruno nickt begeistert beim Kauen.

Der Nachmittag in Ginas Restaurant geht viel zu schnell zu Ende. Als Oma und Kati mit dem Schiff losfahren, stehen Gina, Bruno und sein Papa oben auf der Terrasse und winken.

„Setz bitte deinen Hut auf“, sagt Oma. „Es ist immer noch heiß.“ „Na schön!“, mault Kati.

Plötzlich macht es wuuusch, und ein Windstoß fegt Kati den Hut vom Kopf. Wie ein gepunktetes Rad saust er zwischen den Beinen der Passagiere und dann unter der Reling durch.

Oma und Kati schauen zu, wie der Hut mit den Marienkäfern langsam im Wasser der Elbe versinkt.

„Ich glaube, du brauchst einen neuen Sonnenhut“, sagt Oma.

„Einen wie die Gondolieri?“, fragt Kati.

„Genau so einen. Wie gut, dass wir bald nach Italien fahren!“

Ende der Geschichte! Hab einen spannenden Tag!

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