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Schlawatz

Eine Geschichte von Isabel Abedi mit Illustrationen von Dagmar Henze, erschienen im arsEdition Verlag.

Jonas lag in seinem Bett und konnte nicht schlafen, weil er Angst vor schlechten Träumen hatte.

Denn die hatte Jonas ziemlich oft.

„Ich wünschte, ich hätte mal so einen richtig tollen Traum“, dachte Jonas gerade, und da machte es plingeling-klangbumm und ein kleines Männchen saß auf Jonas’ Bettdecke.

Es hatte einen langen Bart und schwarze Augen.

„Wer bist du?“, fragte Jonas und das Männlein kicherte.

„Ich bin Schlawatz“, sagte es mit wichteliger Stimme, „und ich bin hier, weil du mich herbeigewünscht hast.“

„Ich hab dich nicht herbeigewünscht", sagte Jonas.

„Schlawatzerlapapp!“, schimpfte das Männlein und kratzte sich am Bart. „Hast du dir nicht gerade einen richtig tollen Traum gewünscht?“

Jonas machte große Augen und fragte: „Woher weißt du das?"

„Schlawatze wissen das“, sagte das Männlein ungeduldig.

„Und nun verrate mir deinen Traumwunsch, damit ich ihn erfüllen kann.“

Jonas sah den Schlawatz ein bisschen unsicher an.

Warum kam er denn erst jetzt?

Jonas hatte sich doch schon so oft einen tollen Traum gewünscht.

„Ein Schlawatz kommt, wann er will, und nicht, wann du willst“, sagte das Männlein, als habe es die Gedanken von Jonas gelesen.

„Und nun mach, dass du dir etwas wünschst, ich habe noch fünfzehn andere Traumwünsche in dieser Nacht zu erfüllen.“

Da legte Jonas den Finger an die Nase und dachte nach.

Ein richtiger Traumwunsch will schließlich gut überlegt sein.

„Ich wünsche mir", sagte er nach einer Weile, „ich wünsche mir, auf einem echten Drachen über das Meer zu fliegen. Aber ein großer Drache soll es sein, mit Feuer und allem.“

Der Schlawatz stellte sich vor Jonas auf die Bettdecke und hüpfte siebenmal auf einem Bein um sich selbst herum.

Dann setzte er sich wieder hin und murmelte: „Schlawatzerlu. Schlawatzerla. Träume mach ich, das ist klar. Wünsch dir was, und siehe da: Dein Träumewunsch wird wirklich wahr.“

Danach war alles still.

„Und jetzt?“, fragte Jonas nach einer Weile.

„Und jetzt“, flüsterte der Schlawatz, „schließt du deine Augen und wartest, bis du eine feine Melodie hörst.“

Mit diesen Worten verschwand der Schlawatz in der Dunkelheit.

Jonas schloss die Augen und wartete.

Er hörte den Wasserhahn in der Küche tropfen und die schlurfenden Schritte aus dem Zimmer über ihm.

Und dann hörte er eine leise Melodie.

Als die Melodie verklang, öffnete Jonas die Augen.

Alles um ihn herum war dunkel, und als sich seine Augen an die Dunkelheit gewöhnten, sah er, dass er ganz allein auf einem hohen Felsen saß, weit, weit über dem Meer.

Er hörte das Rauschen der Wellen und fühlte den kühlen Nachtwind auf seiner Haut.

Jonas staunte. Alles war so echt.

Träumte er oder war er wach?

Am Horizont sah er plötzlich etwas leuchten.

Es kam näher und näher. Ein Drache!

Groß und mächtig landete er auf dem Felsen neben Jonas und funkelte ihn aus seinen glühenden Drachenaugen an.

„Steig auf, Jonas“, sagte der Drache und senkte seinen Kopf, sodass Jonas an seinem zackigen Hals hinauf auf seinen Rücken klettern konnte.

Jonas fühlte ein leichtes Kribbeln in den Beinen.

„Ich hab ein bisschen Angst“, sagte er leise.

„Das brauchst du nicht“, sagte der Drache freundlich. „Ich bin ein guter Flieger.“

Als Jonas auf dem Rücken des Drachen saß, breitete der seine Flügel aus und erhob sich sanft wie eine Feder in die Luft.

Jonas hielt sich an den breiten Halszacken fest.

Der Drache stieg höher und höher, das Rauschen des Meeres wurde immer leiser, und nach einer Weile hörte Jonas nur noch das leise Klingen der Sterne, die über ihm strahlten und glitzerten.

„Jipiejee“, rief Jonas und klatschte in die Hände.

Er saß jetzt so sicher auf dem Drachenrücken, dass er sich nicht mehr festzuhalten brauchte.

Ab und zu sprühte der Drache ein Feuer in den Nachthimmel hinein, das ihnen den Weg erhellte.

Plötzlich entdeckte Jonas in der Ferne ein Licht, das war ganz weiß wie Schnee.

Als es auf sie zukam, erkannte Jonas, dass es ein fliegendes Einhorn war.

Auf seinem Rücken stand Karlotta, Jonas’ beste Freundin.

Karlotta trug Ballettschuhe und ein glitzerndes Kleid, und in der Hand hielt sie einen Zauberstab, der silberne Funken sprühte, wenn sie ihn durch die Luft zog.

Karlotta winkte Jonas zu, bevor sie wieder in der Dunkelheit verschwand.

Jonas rieb sich die Augen.

War der Schlawatz etwa auch bei Karlotta gewesen?

Im Laufe der Nacht begegnete Jonas noch weiteren Wesen, die durch die Luft zogen:

• einem Jungen im Piratenschiff,
• einem Elefantenreiter,
• einem Hund im Propellerflugzeug,
• einer Schneckenhaus-Seepferdchen-Kutsche,
• einem Mädchen auf einem Hexenbesen,
• einer Dame im Schuh,
• einem Herrn in der Nuss

und einer Großmutter auf einem Wollknäuel.

Riesengroß und rosarot war das.

Als die Nacht zu Ende ging und die Sterne am Himmel langsam blasser wurden, setzte der Drache zur Landung an.

Er brachte Jonas zurück zu dem Felsen über dem Meer.

Erschöpft, aber glücklich winkte Jonas dem Drachen zum Abschied.

Dann fielen ihm die Augen zu. Als Jonas die Augen wieder öffnete, war heller Morgen und er lag zu Hause in seinem Bett.

Die Sonne schien und alles war wie immer.

Auch vom Schlawatz war keine Spur. Aber als Jonas im Kindergarten seine Freundin Karlotta sah, zwinkerte sie ihm zu.

Da wusste Jonas, dass sie in der Nacht wirklich auf dem Rücken des Einhorns gestanden hatte.

So wirklich, wie Jonas auf dem Drachen über das Meer geflogen war.

Und er überlegte sich schon, was er sich wohl das nächste Mal wünschen würde, wenn ihn der Schlawatz besuchen kam.

Und du? Was würdest du dir vom Schlawatz wünschen?

Ende der Geschichte! Hab einen spannenden Tag!

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