Eine Geschichte von Nina Blazon und mit Illustrationen von Denise Hughes, erschienen bei cbj.
In der großen Dornenhecke am Rande des Moors lebte Mipsi, das Moorlicht, bei ihrer Freundin, der Haselmaus Hu.
„Vielleicht traue ich mich ja morgen, mit den anderen zu leuchten, was meinst du, Hu?"
„Du willst ins Moor?“, piepste zweifelnd die Haselmaus. „Hier ist es doch viel schöner! Das Essen hängt vor unserer Nase. Und keine Eule kann uns fangen!"
„Mips!“, hickste Mipsi. Wenn sie sich erschrak, bekam sie immer Schluckauf. Und vor Eulen hatte sie genauso viel Angst wie Hu.
Zum Schlafen krochen sie beide in Hus Kugelnest.
„Erzählst du mir eine Einschlafgeschichte?", bat Mipsi ihre Mäusefreundin.
„Dann vergiss nicht, zu leuchten, Mipsi“, sagte Hu. „Du weißt, im Dunkeln fürchte ich mich."
Mipsi strengte sich an und tauchte das Nest in ein zartes Schlummerlicht.
Und Hu erzählte. Auch heute brachte sie Mipsi damit zum Kichern. Denn in Hus Geschichten waren sie beide stets mutig und furchtlos. Sie ritten auf Füchsen durch den Wald und heulten mit Eulen um die Wette. Und in Hus Geschichten strahlte Mipsi stets so bunt, dass sogar die Bäume in allen Farben glühten.
Mipsi träumte von einem Sturmwind, der über das Moor fegte.
Fröhlich wirbelte sie herum – und merkte plötzlich, dass sie gar nicht mehr träumte. Das Kugelnest hüpfte und rollte!
„Huch!“, piepste Hu.
Dann purzelten sie beide kopfüber aus dem Nest und landeten im Gras. Beide schrien sie auf.
Denn das Kugelnest war aus der Hecke gerollt. Nun saßen sie unter freiem Himmel.
Ein stürmischer Abendwind heulte ihnen um die Ohren.
Und hinter ihnen raschelte es in der Hecke, als würde etwas Großes und Gefährliches darin herumklettern.
„Upps!“, rief eine fröhliche, laute Stimme.
„In der Kugel wohnt ja jemand! Ich dachte, es sei ein schöner Ball zum Fußballspielen."
Ein schlanker, silbriger Blitz sprang aus der Hecke und landete direkt vor Mipsi im Gras.
Mipsi vergaß vor Verblüffung, dass sie eigentlich Schluckauf hatte.
„Keine Angst, Mipsi“, hörte sie Hu erleichtert rufen. „Das ist ein Siebenschläfer. Die sind nicht gefährlich."
Der Siebenschläfer lachte. „Hallo, ich heiße Siebenschön. Und was für ein lustiges Wesen bist du denn?"
„Ein Moorlicht“, murmelte Mipsi schüchtern. Sie wurde ganz rot, was sich als zartes Rosa zeigte.
„Wie schön du leuchtest!“, staunte Siebenschön. „Das müssen meine Freunde sehen. Habt ihr beiden Lust auf eine Winterschlaf-Party im Wald?"
„Wir halten sieben Monate lang Winterschlaf“, erklärte Siebenschön.
„Dafür müssen wir vorher ordentlich futtern.“
Er hopste zur Hecke und begann Hagebutten zu pflücken.
„Die nehmen wir mit!“, rief er und stopfte sich eine Hagebutte in den Mund.
Mipsi hätte fast wieder Schluckauf bekommen. „Aber der Weg zum Wald führt doch über die große Wiese", hauchte sie.
„Das ist doch gefährlich!“, piepste Hu. „Da draußen gibt es schließlich Eulen und so!"
Siebenschön lachte. „Klar! Aber ein bisschen Herzklopfen gehört zu einem Abenteuer dazu. Kommt mit! Dann können wir uns gemeinsam fürchten. Und dabei viel Spaß haben!"
Von Spaß konnte erst einmal keine Rede sein.
Mipsi stolperte fast in ein Kaninchenloch im Boden und zuckte bei jedem Rascheln zusammen.
Aber Siebenschön hatte recht: Sich gemeinsam zu fürchten, machte die Sache viel leichter.
Hu schaute ängstlich in den Himmel.
„Eulen fliegen völlig lautlos“, raunte sie Mipsi zu. „Man hört sie nicht, sie sind ganz plötzlich da.“
„Deshalb sind wir ja wachsam und passen aufeinander auf“, flüsterte Siebenschön. „Hu, du behältst den Himmel im Auge. Mipsi, du versuchst, nicht zu leuchten, und schaust dich immer wieder nach hinten um. Und ich achte darauf, dass wir nicht vom Weg abkommen."
Mipsis Herz klopfte wild. Aber sie lernte etwas über sich: Man konnte sich nicht ununterbrochen fürchten.
Schon gar nicht, wenn man mit Freunden unterwegs war und aufeinander aufpasste.
Nach und nach wurde ihre Neugier größer als ihre Angst und mit jedem Schritt freute sie sich mehr darauf, den Wald kennenzulernen.
„Gleich sind wir am Waldrand“, verkündete Siebenschön.
Mipsi spähte nach vorne – und staunte, wie schön der Wald aus der Nähe aussah.
„Du sollst doch gerade nicht leuchten, Mipsi“, wisperte Hu. Mipsi schaute an sich herunter.
„Oh“, hauchte sie überrascht. Sie hatte es gar nicht gemerkt, aber ganz von selbst strahlte sie vor Freude und Begeisterung in hellen Regenbogenfarben.
„Da … da oben!“, stotterte plötzlich Hu. „Eule!“
„Mips!“, entfuhr es Mipsi. Denn über ihnen glitt ein großer Vogel lautlos über den Himmel.
„Keine Panik“, raunte Siebenschön. „Versteckt euch im Boden!“
Mipsi packte Hus Pfote und zog ihre Freundin mit sich. Blitzschnell krochen sie in ein Loch zwischen großen Graswurzeln und wagten weder zu atmen noch zu hicksen.
Erst nach einer Weile trauten sie sich vorsichtig aus ihrem Versteck heraus.
Die Eule war fort. Alles war friedlich und still. Doch überall waren Hagebutten verstreut.
„Wo ist Siebenschön?“, flüsterte Hu.
„Ihm geht es bestimmt gut“, beruhigte Mipsi ihre Freundin. Aber sie konnte nicht verbergen, dass sie besorgt in einem blassen Grün flackerte.
„Das war aufregend“, rief Siebenschön da schon gut gelaunt.
Er krabbelte aus einem engen Kaninchenloch hervor.
„Ihr habt gut aufgepasst, ihr beiden! Nun haben wir auf der Winterschlaf-Party richtig was zu erzählen."
Mipsis grünes Flackern wurde zu einem freudigen bunten Schein. Sie kicherte.
Und stellte verwundert fest, dass man tatsächlich mutig sein konnte, obwohl einem das Herz bis zum Hals klopfte.
Siebenschön führte sie zu einem knorrigen Baum mit rauer Borke.
„Die Party findet oben in den Baumkronen statt“, sagte er dann. „Ganz nah am Mond.“
Hu rümpfte das Näschen. „Und wie sollen wir die schweren Hagebutten da hochtragen?"
„Na, wir holen Hilfe“, erwiderte Siebenschön. Er stieß einen lauten Pfiff aus, der im Wald widerhallte.
Im Unterholz begann es zu rascheln und schon kamen andere Siebenschläfer herbei.
„Hey, Siebenschön!“, riefen sie. „Wo warst du? Und wen hast du da mitgebracht?“
„Das sind Mipsi und Hu“, antwortete Siebenschön. „Meine mutigen Freundinnen aus der Hecke am Moor."
„Ha… hallo“, piepste Hu schüchtern. Mipsi errötete nur und brachte vor Verlegenheit kein Wort heraus.
Aber die Siebenschläfer begrüßten sie begeistert. „Wie toll du leuchtest!", riefen sie. „Willkommen im Wald!“
Jeder der Siebenschläfer nahm sich eine Hagebutte und kletterte damit flink am Baum hoch.
„Springt auf meinen Rücken", forderte Siebenschön Mipsi und Hu auf. „Krallt euch in meinen Pelz und haltet euch gut fest."
Mipsi staunte, wie weich Siebenschöns silbernes Fell war. In Windeseile sauste ihr Freund am Stamm hoch, dann rannte er im Zickzack von Ast zu Ast. Schließlich nahm er Anlauf und sprang mit einem riesigen Satz in den Himmel.
Mipsi quietschte auf – erst vor Angst, dann vor Begeisterung.
„Huiii!“, fiepte Hu. „Wir fliegen!“
„Huiii!“, juchzte auch Mipsi.
In ihrem Bauch kribbelte es. Und als Siebenschön im nächsten Baum landete, leuchtete sie vor Glück wie ein Glühwürmchen.
Die Freunde schmausten und tanzten und lachten, als plötzlich jemand rief: „Schaut mal, der erste Schnee. So früh im Herbst!"
Bald schon bedeckten fedrige Flocken Zweige und Blätter.
Die Siebenschläfer waren nun ganz verzaubert. Denn Mipsis Licht ließ den Schnee in den sanftesten Farben des Regenbogens leuchten.
Nein, sie strahlte nicht so grell und bunt wie die anderen Irrlichter.
Aber plötzlich fand Mipsi ihr Leuchten gar nicht mehr zu blass. Im Gegenteil! Diese schönen, zarten Farben gehörten ganz und gar zu ihr. Und noch nie war sie so glücklich gewesen wie jetzt.
Der Morgen graute schon, als Hu und Mipsi wieder in das Nest in der Dornenhecke krochen.
Siebenschön hatte sie nach Hause begleitet und das Kugelnest wieder aufgehängt.
„Träumt schön, ihr Schlafmäuse“, sagte er zum Abschied. „Im Frühling sehen wir uns wieder.“
„Bis zum Frühling, Siebenschön“, murmelte Hu glücklich.
Dann schlief sie vor Müdigkeit einfach ein, ohne Mipsi eine Geschichte zu erzählen. Mipsi schmunzelte und deckte ihre Freundin mit weichem Moos zu.
Dann schlüpfte sie leise aus dem Nest. Verträumt schaute sie zum Buntmoor hinüber.
Und freute sich unbändig darauf, im Winter mit den anderen Irrlichtern herumzutollen, auf den gefrorenen Tümpeln zu tanzen und mutig in ihrem besonderen Licht zu leuchten.
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